the big screen
Die erschütterte Maschine. Im Kino zählt das Bild gleich viel wie seine Auslöschung. Das angegriffene, das attackierte Bild, seit jeher eine Spezialität des Avantgardefilms, bleibt auch im Augenblick seiner Zersetzung und Decodierung, was es immer war: ein Bild, ein Attraktionspunkt. „the big screen", ein im Hause Sixpack kompiliertes Kurzfilmprogramm, erzählt von der Gewalt und der Macht der verfremdeten und verfallenden Bilder, somit: vom Kino selbst. Feuer markiert den Einstieg, eine Auslöschung ist im Gang: Flammen züngeln gefräßig aus einem Gebäude, in einem befleckten, zerkratzten Stück Nitrofilm, den vor einem Jahrhundert jemand gedreht hat, dessen Name die Filmgeschichte nicht erreicht hat. Was von dem Mann an der Kamera bleibt, sind allein diese Bilder: bleiche Reste von Wirklichkeit, geisterhafte Spuren einer vergehenden, vergangenen Welt, ein Dokument des Untergangs, nachträglich unter Strom gesetzt von der surrenden Musik Christian Fennesz'. Der Film ist 56 Sekunden lang, und er heißt (nach einem Wort Gustav Mahlers): Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche. Das Licht wird im Kino weiter gereicht, es existiert, unauslöschlich offenbar und weit über ein Menschenleben hinaus.
Wovon das Kino träumt, wenn es – sich selbst näher – nicht mehr korrekt, nicht mehr nach Vorschrift arbeitet, zeichnet dieses kleine Filmpaket exemplarisch auf. Es liefert Erfahrungen, die exklusiv dem Medium, in dem diese formuliert sind, vorbehalten sind. Zum Big Screen weitet sich die Leinwand, wo das Denken und das Sehen, die sich im Kino so ungeahnt verbinden können, über ihre angestammten engen Grenzen hinausgehen. Dem Tod bei der Arbeit zuzuschauen, darauf läuft, nach Cocteau, letztlich jeder Film hinaus. Der Kinoapparat zeichnet gnadenlos auf, wie die Körper und die Dinge vergehen. Er modelliert die Welt in der Zeit, er protokolliert den Untergang derer, auf (oder gegen) die er sich richtet. Die Trauer und die Heftigkeit, die die Wunderbilder dieses Programms in sich tragen, sind symptomatisch: Die Unwiederbringlichkeit des in ihm synthetisierten Lebens nimmt das Kino, als Mittel zur Bewahrung eines umfassenden Gedächtnisses der Welt, mit Bedauern zur Kenntnis.
Als Angriff formulieren die hier vertretenen Filmemacher:innen ihre Befragung der Bilder. Peter Tscherkasskys Outer Space greift, wie Deutsch, auf gefundenes Filmmaterial zurück, auf Blicke, die ein Fremder geworfen hat: Einem amerikanischen Mainstream-Schocker in CinemaScope, der um eine junge Frau (Barbara Hershey) kreist, die von gestaltlosen Dämonen terrorisiert wird, entnimmt Tscherkassky nur ein paar Sequenzen, um diesen zunächst die Farbe zu entziehen und danach alle Sicherheiten der traditionellen Erzählung.
Das Kino tendiert, wo es von sich selbst erzählt, zur Abstraktion. Routemaster, eine filmische Beschleunigungsstudie aus Finnland, verwandelt seinen Gegenstand (vorbeidonnernde Rennwagen) in Lichtmuster, Lichtlinien, in reine Raserei. Spielleiter Ilppo Pojohla sucht den Rausch der Geschwindigkeit in einer quasi-musikalischen Komposition für parzellierte Leinwand.
Hongkong, eine Arbeit des Niederländers Gerard Holthuis, protokolliert in unwirklichen, hitzeflimmernden Bildern das Leben in und über die Großstadt: Meditation über eine Metropole.
Die starke Präsenz österreichischer Filmemacher in "the big screen" ist mit blankem Chauvinismus nicht zu erklären, Österreichs bereits jahrzentelange Sonderstellung in der internationalen Filmavantgarde ist gut dokumentiert. Lisl Ponger findet ihre Sujets wie Holthuis in der Fremde, aber anders als dieser ist sie dem Elegischen gänzlich abhold. Pongers Blick auf die Fremde ist nicht sehnsuchtsvoll, sondern analytisch. Visuell ist déjà vu wohlorganisiert, farblich präzise kalkuliert: Dem roten Turban eines Mannes, dem Gelb der Weste eines kleinen Affen und unter anderem dem Blau des Meeres, jenem utopischen Raum anonymer Reisender, verdankt der Film seine fließende Vorwärtsbewegung, seine Sinnlichkeit. Dabei zeigt Ponger keine spektakulären Dinge – die Spannung ergibt sich aus der Suche nach der Absicht der Bilder.
Der Mut zur Hermetik geht auch Josef Dabernig nicht ab, in dessen Film Jogging keineswegs gelaufen, nur gefahren und geschaut wiwrd. Namenlos wie Lisl Pongers Schauplätze sind auch Dabernigs Orte, aber irritierender, unheimlicher.
Das dringende Interesse am Peripheren bringen die Filmemacher:innen dieses Programms sozusagen als berufliche Voraussetzung in ihre Arbeiten mit ein - Dabernigs Kamera tastet die Plastikverkleidung der Armaturen ab, die Hände des Fahrers, die mitgeführten Kassetten unter dem Autoradio. Unterwegs sind nur Tiere anzutreffen, schweigende Zeugen einer zunehmend surrealen Ausfahrt: Eine Schafherde treibt vorbei, und Straßenhunde blicken den Zuschauer ernst und mitleidig an, wie die letzten Überlebenden eines finalen Ernstfalls. Olga Neuwirths Orchestermusik begleitet singend und flirrend, im Glissando, den Reisenden - rastlos auf der Suche nach einer möglichen, unerreichbaren endgültigen Form.
Programm
Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche (Gustav Deutsch, Ö 1999, 35mm, F, 56 Sek.)
Hongkong (Gerard Holthuis, NL 1999, 35mm, s/w, 13 Min.)
déjà vu (Lisl Ponger, Ö 1999, 35mm, F, 23 Min.)
Jogging (Josef Dabernig, Ö 2000, 35mm, F, 11 Min.)
Routemaster (Ilppo Pojohla, FIN 2000, 35mm, s/w, 17 Min.)
Outer Space (Peter Tscherkassky, Ö 1999, 35mm, s/w, 10 Min.)
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Ein gemeinsames Programm von sixpackfilm und Stadtkino