Untitled 1990/2023

Untitled 1990/2023 ist das digitale „Remake” seines fotochemischen Vorgängers Untitled (1990), die Abfolge seiner Einzelbilder ident mit jener des Originals. Die neue Version ist zugleich mehr als dieses. Die Bilder treten gewissermaßen über ihre Grenzen und in direkte Beziehung mit ihren jeweiligen Nachbarn und dem Außen. Bild-trenn-striche und -ränder werden selbst Teil des Bildes. Ursprünglich kontinuierliche Bewegungen werden gegenläufig, um anderswo die Bildstriche buchstäblich zu unterlaufen und sich über diese hinweg fortzusetzen. Derart – mit Overscan – in die Gegenwart digitalisiert, zeigt sich zugleich auch die mechanische Kino-Apparatur aus dem 19. Jahrhundert deutlicher.

Untitled 1990/2023 ist dem Filmemacher Ernie Gehr gewidmet, der die ursprüngliche Arbeit auf eine sehr persönliche Weise inspirierte und, aus der Distanz, auch diese neue. (Thomas Korschil)


Die Frage "Fahren Sie hinauf?" hört man eher an der Aufzugstür als vor einer Rolltreppe. Im Gegensatz zur baumelnden Kabine, die kurz anhält, sind die Fahrgäste auf einer Rolltreppe immer in Bewegung und beantworten diese Frage wortlos. Die ersten Sekundenbruchteile des horizontalen Rüberrutschens mögen uneindeutig sein, aber üblicherweise schaut man nach vorne und blickt auf die mechanische Leiter vor sich hinauf- oder hinunterfahren.

Ausrichtung und kontinuierliche vs. diskontinuierliche Bewegung sind nur zwei der Spiele in Thomas Korschils Originalversion von Untitled (1990) – der erste Film in seiner Reihe an Erforschungen von Staccato auf 16mm (und der Einzige, der Plansequenzen in der Länge einer Filmrolle verwendet). Dieses 33 Jahre später entstandene „Remake“ fügt neue Dimensionen hinzu, unter anderem eine neue Sichtweise auf Drittelungen. 

Das Herzstück dieser digitalen Version ist der einfache Kader, so wie er in Projektionen des 20. Jahrhunderts zu sehen war. Darin blicken wir zunächst schräg auf einen Ausschnitt von vier Metalltreppen [stairs]. In vereinzelten Kadern sind es maximal drei (die flüchtige aber erreichbare Anzahl silberner Streifen im zweiten Teil des Films, wo es mehrheitlich zwei sind). Da anders skaliert, macht der Scan zusätzlich Abschnitte der benachbarten Kader sichtbar und bringt uns so auf den gemeinsamen Nenner… aus Blicken [stares]. Im ersten Teil ahmt unser nun dreifacher Blick die ursprüngliche Aufnahme nach, in der die schmalen äußeren Stufen die größere mittlere umklammern.

Wird Ihnen schwindlig? Halten Sie sich an den hinzugekommenen „Handläufen“ von 2023 fest: die des Filmstreifens. Der erhöhte Blickpunkt des Scanners zeigt die Perforierung, die diese halten, und erschafft eine Geometrie in der linken oberen Ecke der Eröffnungsfahrt, wo die Krümmung des leeren Weiß auf den verdickten schwarzen Bildstrich trifft, der seinerseits Teile der glatten Rolltreppenwand gegen Furchen (Scanlinien!) abgrenzt. (Man beachte die momentane Verdoppelung der Dunkelheit im aufwärts strebenden Stufenzwischenraum, bis die "Solarisation" einsetzt.) Aber halten Sie sich nicht zu fest an. Die Randnummerierung regt (wie so vieles andere) zum Nachdenken an. Die Anordnung der Passagierinnen in Untitled? Die Beziehung zu Lawder’s Necrology (1970) oder Gehrs Side/Walk/Shuttle (1991)? Denkanstöße für zukünftige Durchläufe. (Ken Eisenstein)

Übersetzung aus dem Englischen: Daniela Zahlner

Trailer
Orig. Titel
Untitled 1990/2023
Jahr
2023
Land
Österreich
Länge
9 min
Kategorie
Experimental
Orig. Sprache
Kein Dialog
Credits
Regie
Thomas Korschil
Konzept & Realisation
Thomas Korschil
Dank an
Lena Stötzel / Österreichisches Filmmuseum, Janneke Van Dalen / Österreichisches Filmmuseum
Verfügbare Formate
Digital File (prores, h264) (Distributionskopie)
Bildformat
16:9
Tonformat
Stumm
Bildfrequenz
18 fps
Farbformat
s/w