Accelerando
Wie in seinem vorangegangenen Film Oceano Nox (2011) arbeitet Georg Wasner auch in Accelerando mit und an fremdem Material. Ging es in Oceano Nox noch um die aus der Re-Lektüre von Wochenschaumaterial zum Untergang der Titanic gewonnene Frage nach der "Unmittelbarkeit des Schauens und Angeschaut-Werdens" als eigentliche, jede filmgeschichtliche Entwicklungslogik außer Kraft setzende Triebfeder des Dokumentarischen, konfrontiert Wasner die Frage der Anschaulichkeit in Accelerando mit dem Feld des Politischen: Und zwar über einen Text des britischen Pazifisten und späteren Friedensnobelpreisträgers Norman Angell, der bereits 1909 die enge gedankliche Verbindung von militärischer Stärke und wirtschaftlicher Prosperität als "Europas optische Täuschung" (oder auch als "Die große Illusion") aufzulösen versuchte.
Wenn Wasner nun Auszüge aus Angells Text mit Bildmaterial ins Verhältnis setzt, das die Rüstungsproduktion (Das Stahlwerk der Poldihütte während des Weltkriegs, 1916), den Krieg (The Battle of the Somme, 1916) sowie die nationalsozialistische Verherrlichung der Stahlerzeugung (Metall des Himmels, 1935) zeigt, könnte man zunächst glauben, die Bildspur illustriere jene optische Täuschung, von der auf der Tonspur die Rede ist. Aber so einfach ist es nicht, setzt Wasners Montage doch alles daran, diesen Kurzschluss zu vermeiden: An keiner Stelle im Film illustriert das Bild bloß den Text oder kommentiert der Text bloß das Bild, vielmehr treten beide in eine Zone der Unbestimmtheit ein, in der die variable Bedeutungskraft der visuellen Zeichen die bestechende Logik von Angells Argumentation verunsichert – und umgekehrt. Nimmt man die mehr oder weniger umfangreiche Produktions- und Rezeptionsgeschichte des verwendeten Materials hinzu, verwandelt sich Accelerando in einen weitläufigen Resonanz- bzw. Echoraum, in dem Argumente und Ansichten der Vergangenheit auf eine Weise in Relation zueinander gesetzt werden, dass die vom Titel bezeichnete Spannung zwischen Fortschrittsglaube und Bedrohung als Signatur der Epoche vernehmbar wird. Das Erstaunliche dabei: die Spannung ist heute immer noch dieselbe. (Vrääth Öhner)
Wir müssen immer wieder an die Stelle zurück, wo die Gedankenkette damals abgerissen ist. (Interview)
We must continually return to that point back in time the train of thought was lost. (Interview)
A Werkstatt (workshop) conversation about Georg Wasner´s new film-in-progress, working title: ACCELERANDO (first published in kolik.film, Sonderheft 20/2013).
Accelerando
2016
Österreich
40 min